Datum: 24.07.2006

Reportage: Seedurchquerung

 

Pollux weist den Weg

durch den aufgewühlten See

 

LINDAU (me) - 2,3 Kilometer in aller Herrgottsfrühe durch den Bodensee schwimmen? Brrrr, mag da so mancher denken – aber unsere Mitarbeiterin Maja Endrullis nicht. Sie wagte sich auf die 4. Lindauer Seedurchquerung

Samstag, 7 Uhr. Die meisten Lindauer schlafen noch friedlich, während ich bereits im Römerbad stehe und mir von einem jungen Mann mit Edding eine „30“ auf meine Schultern pinseln lasse. Es ist windig, und Wellen kräuseln sich auf dem See. Die Sonne steigt auf Höhe des Eichwaldbades gleißend hell auf. Eine wenig spektakuläre Szene, wenn nicht gerade 120 Schwimmer darauf warten würden, durch eben diesen „leicht gekräuselten“ See in Richtung der aufgehenden Sonne in das Strandbad Eichwald zu schwimmen. Und ich bin eine von ihnen.

Um kurz vor 8 Uhr wate ich im Pulk mit den anderen Schwimmern auf die Startlinie zu. Ich mache das sehr langsam, mir wird übel. Bald werde ich gegen diese biestigen Wellen ankämpfen, gegen die aufgehende Sonne, die einem jegliche Sicht nimmt, gegen 2 Zentimeter lange „Killerfische“, gegen „Schlingpflanzen“ und – man weiß ja nie – vielleicht auch gegen Seeungeheuer. Vor allem aber werde ich gegen die zirka 2,3 Kilometer ankämpfen, die es schwimmend zu bewältigen gilt. Die Vereinsschwimmer tragen orange Badekappen, die Freizeitschwimmer gelbe. Die Trennung zwischen Vereins- und Hobbyschwimmern ist klasse, schließlich sind die Leistungsunterschiede teilweise immens. Auf dem See stehen zahlreiche Begleitboote bereit, um die Schwimmer zu begleiten und schwächelnde Teilnehmer ins sichere Boot zu holen.

Als der Startschuss fällt, geht im angenehm warmen Wasser ein wüstes Gehacke los, jeder versucht sich freizuschwimmen und irgendeinen Ellbogen oder Fuß hat man ständig im Gesicht. Ich verschlucke mich und sehe kurzfristig mein Leben an mir vorüberziehen. Aber ich fange mich und finde irgendwann ein wenig Platz und trotz des Wellenganges sogar einen gewissen Schwimmrhythmus.

Fluchen, spucken, fluchen

Bis mich Pollux, ein außer Konkurrenz schwimmender Vereinsschwimmer, auf einmal unsanft an meinem Fuß packt und mir zuruft, dass ich völlig falsch schwimme. Stimmt, ich schwamm in Richtung Schilfgürtel. Einen anderen Schwimmer soll es sogar in Richtung Rheinmündung gezogen haben, überhaupt berichtet hinterher jeder von irgendwelchen Orientierungsproblemen. Pollux bietet mir an, mir den Weg zu weisen und fortan orientiere ich mich nur noch an ihm, was ein unglaublicher Luxus ist, denn ich habe mit den Wellen und der weiten Strecke schon genug zu kämpfen.

Da tut es gut, nicht auch noch den richtigen Weg finden zu müssen, was beim Kraulen immens schwer ist. Nadja Merz vom TSV beispielsweise schwamm weite Teile Rücken und konnte sich so rückblickend am Leuchtturm orientieren und hatte darüber hinaus nicht ständig Wellen im Gesicht. Nur wie viele andere Freizeitschwimmer bin ich eine lausige Rückenschwimmerin, so etwas kam für mich also nicht in Frage. Der Weg ist so lang. Das Ufer kommt überhaupt nicht näher. Ich fluche. Und spucke Wasser. Fluche weiter.

Im Wasser gibt es keine Kilometerangaben, keine Information darüber, wie lange man unterwegs ist. Da ist ein Laufwettkampf wesentlich angenehmer. Die Wellen werden nicht kleiner, dafür werden die Arme müde. Ab und zu habe ich einen Fuß im Gesicht oder eine Hand auf meinem Kopf. Unfreiwillig schwimme ich in einem Pulk. Ich glaube, mich auf der Stelle zu bewegen – wo bleibt nur das Eichwald? Was, wenn Pollux mich nach Bregenz oder sonst wohin führt? Immer wieder schlucke ich Wasser, ich schwimme unsauber, mir ist es egal. Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, sehe ich auf einmal den Steg. Pollux ruft mir plötzlich zu, er müsse jetzt weg und verschwindet irgendwo in Richtung der aufgehenden Sonne. Mir bleibt noch nicht einmal mehr Zeit, „danke“ zu blubbern. Und so schleppe ich mich alleine ins Ziel. Kaputt und überglücklich. Geschafft!

Vor dem Start konnte unsere Mitarbeiterin Maja Endrullis noch lachen – da wusste sie noch nicht, was auf sie zukommt. Zwischendurch hat’s mal nicht wirklich Spaß gemacht, aber nach 46 Minuten sind die Strapazen überstanden und der Stolz auf die eigene Leistung überwiegt. Foto: Christian Flemming

 

Von 120 machen nur zwei schlapp

LINDAU (me) - Die Lindauer Seedurchquerung wird jährlich veranstaltet von der Berufsschule Lindau, Abteilung Fachangestellte für Bäderbetriebe, in Zusammenarbeit mit dem TSV Lindau. Die Schüler bereiten die Seedurchquerung mit ihren Lehrern fächerübergreifend als Projektarbeit vor. Die gut gelaunten Schüler waren stets freundlich zur Stelle und lieferten so eine toll organisierte Veranstaltung. Begleitung und Versorgung waren hervorragend und alles lief reibungslos. Lediglich die Siegerehrung wäre noch zu verbessern, hatten sich in die ungeordnete Ehrung doch viele Fehler eingeschlichen und einige Sieger wurden irrtümlich gar nicht aufgerufen. In diesem Jahr waren 120 Teilnehmer gemeldet, nur zwei davon erreichten das Ziel nicht schwimmend.

Ein großes Fragezeichen liegt immer beim Wetter, das den Organisatoren bereits vor zwei Jahren einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Auch in diesem Jahr war nicht alles so einfach, wie es schien. Frühmorgens zwischen 4 und 5 Uhr waren nämlich laut Mitorganisatorin Angelika Rubenhauer-Früh Wind und Wellengang so stark, dass man eine Absage in Erwägung gezogen hatte.

Die ursprüngliche Idee kam übrigens vor einigen Jahren von der Lindauer Schwimmerin Sandra Albrecht, die erkannte, dass es überall Volksläufe gibt, aber keine Volksschwimmen, bei denen sich Hobbyschwimmer messen können. Die stetig steigende Beteiligung und die durchweg zufriedenen Teilnehmer geben ihr Recht.

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